Die Geschichte des „O“: Leberkäs mit System

Na sowas, da sollen doch tatsächlich falsche Lebern transplantiert worden sein. Nun, die Lebern selbst waren nicht wirklich falsch sondern sogar richtig echt, die Spender waren richtig tot und die Empfänger auch schon fast. Falsch war wohl nur, wie der Palästinenser Doktor „O“ auf den sonst so – Eurotransplant sei dank – fern aller persönlichen Schicksalsberücksichtigung streng schulmedizinisch stratefizierten, europaweiten Organproporz Einfluss genommen hat. Ob er statt einer europa-gesteuerten eine euro-gesteuerte Leberdistribution Organ-isiert hat ist nicht klar, wird aber heftig spekuliert. Schließlich handeln alle Palästinenser mit Teppichen und Jungfrauen, da ist es zum Leber-Schachern nur ein kleiner Schnitt weiter.

Lebern von Christen an Muslime, Lebern statt an arme Stoffwechselkranke an reiche Säufer, Lebern von freiwilligen Spendern an ebenso freiwillig Zahlende. Blutige Abgründe seziert das Skalpell in den Bauch der Transplantationsmedizin. Was kommt denn noch: Fürsten, die dank göttlicher Fügung zwei Herzen erhalten, Organ-Doping für Olympia, Nierenspende zur Polit-PR?

Ob „O“ Helfer hatte ist fraglich, denn wie immer hat ja keiner was gewußt und geahnt hat ja sowieso nie irgendjemand etwas. Dabei ist es doch klar: er hatte Helfer. Die treudoofen Mitarbeiter seiner nächsten Umgebung – treu weil sie an der Verlässlichkeit nicht zweifelten, doof weil sie sich nichts gedacht haben – sind da nicht gemeint. Da werden sicher noch einige auf dem Richtstuhl nicht justizialbler Beschuldigungen bauerngeopfert. Die entscheidenden Helfer sind aber auf höchster Ebene – oberhalb der von Chefärzten und anderen Vorgesetzten – zu suchen.

Ein System, das für medizinische Leistungen belohnt, wie für ein gebackenes Brötchen fördert das backen vieler Brötchen. Wer viel backt kriegt viel Lohn. Wer viel operiert kriegt viel Geld, mehr Ruhm, noch mehr Erfahrung und kann es schließlich auch wirklich besser. Wer wenig backt kann es nicht, muss es lassen, darf es nicht mehr, kann gehen. Spätestens bei der Transplantation führt dieses System aber klar erkennbar in eine Sackgasse, denn man kann zwar jedem auch nur halblahmen eine künstliche Hüfte einzementieren um damit Erfahrung, Ruhm und Geld zu sammeln, nicht aber jedem Langzeitalkoholiker eine Leber bescheren, da die Transplantate im Gegensatz zu den Hüftprothesen ein rares Gut sind.

Mensch Doktor „O“ das hattest Du bei der Berufswahl vergessen. Jetzt willst Du ein begnadeter Transplanteur sein und hast nix zu transplantieren, wärst Du doch Orthopäde geworden. Stattdessen sterben Deine Patienten auf der Warteliste und transplantiert wird sonstwo. Sind die sonstwo Operierten mehr Wert wie Deine Patienten, sind die sonstwo transplantierten kränker wie Deine, werden sie besser mit der neuen Leber umgehen? Auf der Warteliste wird so und so gestorben, warum also ausgerechnet vor Deiner Haustür? Da hast Du begonnen vor Deiner Haustür zu kehren: weg mit den guten Laborwerten, weg mit den zum transplantieren noch zu gesunden Patienten, weg mit den Bedenken, her mit den Lebern für Deine Patienten und als Kollateralgewinn des lebernspendenden Verfahrens her mit Ruhm, Ehre und Geld.

Und jetzt schreien sie alle auf: die systemimmanenten Ärztekammern, die sonst so gerne ökonomisierenden Krankheitspolitiker, die ethischen Leberverteiler. Stellt sie an den Pranger! Wen? Die, die am meisten transplantiert haben – sind das die größten Betrüger? Ist Doktor „O“ wirklich die Spitze der Bewegung? Oder hat er nur das gemacht, was Palästinenser halt so zu tun gewohnt sind: in einer schwierigen Situation alle Mittel genutzt um für die Nächsten und sich selbst das Beste herauszuholen und sei es nur ein Teppich, der den hartem Lehmboden kaschiert.

Wie bei allen Tätern blicken wir brav auf Beweggründe und Sozialisierung zurück. Es war ausnahmsweise nicht Doktor „O“s Kindheit, es war das System das ihn möglich gemacht hat. Das tröstet die Opfer nicht, aber wer die sind ist und bleibt wohl für immer fraglich, denn leider – oder Gott sei Dank – hat niemand ein „Recht“ auf eine neue Leber, auch nicht der auf irgendeiner Liste ganz vorne Gelistete. Das System der immer mehr kommerzialisierten, pseudozertifizierten, scheinevaluierten, leitliniengesteuerten Medizin auf streng wissenschaftlicher Basis hat die Ärzte in Ausbildung und Praxis und unsere Gesellschaft das vergessen lassen, was nicht justiziabel aber unverzichtbar ist: den werteorientierten Arzt, eine ehrenwerte – ehrenwertende – Gesundheitspolitik.

Der Schaden am System, den Doktor „O“ angerichtet hat ist nicht wieder gut zu machen. Hoffentlich.


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