Back to the Boots – wenn der Geist den Schein spielt

Ein neues Sommermärchen droht. Das alte ist vor wenigen Tagen in der für aufrichtige Justiz, Transparenz und Minderheitenschutz bekannten Schweiz, dank völlig unerwartet, sozusagen urplötzlich eingetretener Verjährung abgepfiffen worden. Alleine der Prozess habe aber Spuren hinterlassen, so habe man mindestens einen niedrigen, zweistelligen Betrag verloren. Dieser sei aber mittlerweile durch Staatshilfen refinanziert, trillert die um einen falschen Zwanziger erleichterte Pfeife Niersbach.

Man sei Bestechung bisher nur aus dem Spiel- und Schiedsrichterbetrieb gewohnt. Daraus seien Vermögen resultiert, die – wie bei seinem Freund Mohamed in Hamham – eine Bestechung im administrativen Bereich, die summiert bestenfalls als Peanuts durchginge, völlig unglaublich machen. Man habe schließlich Moral, zumindest bei derart niedrigen Beträgen. „Und ob der Ball die Streif runtergekickt wird oder in der Wüste hinter einer Düne verschwindet ist doch letztlich egal“, gibt der nun endgültig unantastbare Tenno Franz aus Kitzbühl zu bedenken. „Beim Golf wären solche Schikanen ein besondere Kick und gerade um den Kick muss es hier doch gehen“.

So sehen wir den Ball, nach dessen Vorbild die Erde dereinst von Senior-Coach H. Gott geschaffen wurde schon wieder unruhig auf dem sturmgeföhnten Rasen liegen. Pünktlich zur Wiedereröffnung der deutschen Friseursalons darf nun auch das exclusive Grün auf den von der DFL vorgeschriebenen Facon-Kurzschnitt – 25 bis 28 Millimeter – idealerweise mit coronafreien Mährobotern geschert werden. So bleiben nur noch Tage bis die Profis wieder Anstoß am Ball nehmen können.

Die Mannschaften werden zwei mal wöchentlich abgestrichen – beim FC Bayern München kann man sich sogar zwei mal tägliche Abstriche leisten – um eine Ausbreitung der Seuche in den Mannschaften zu verhindern. Die Spieler aller erst- und zweitklassigen Mannschaften werden für die Dauer der sog. finalen Geisterspielsaison in einem exclusiven Hotel einquarantänisiert, was den Umgang mit Familien und Freunden limitiert, aber noch wichtiger: Begegnungen mit Fans und sogenannten Normalbürgern rigoros unterbinden lässt. Zusätzlich, so führt DFB Präsident Keller aus, „haben wir unsere Athleten der ersten beiden Ligen auch mit einem täglichen prophylaktischen Antibiotika-Cocktail ausgestattet“. Man knüpfe damit an die nachweislich guten erfolge in der Massentierhaltung an. Vor Dopingkontrollen habe man keine Angst weil Kontrollen beim Fußball selten wären und die Türsteher am Vereinsheim angewiesen seien, jeden unbekannten Besucher mehrfach anzuhusten. So löst sich das Proben-Problem spätestens nach 14 Tagen.

Problematisch für den Saison-Ablauf erscheint allerdings die Ungleichbehandlung der Profis durch die Gesundheitsämter, so DFL-Geschäftsführer Seifert. Wegen ein paar positiven Tests sei nun über die ganze Dynamo-Mannschaft eine 14-tägige häusliche Quarantäne verhängt worden. Man hätte die Quarantäne ja auch ins Stadion verlegen können. Und: Es sei doch logisch, dass bei den Mannschaften mehr gefunden werde, wenn man so oft testet, während der Normalbürger mehrheitlich ungetestet und ballfrei herumlaufe. Da müssen die überzogenen Restriktionen gegen die Volltestprofis doch wenigstens mit Augenmaß wegfinanzierbar gemacht werden können. Man will sich der Verantwortung ja nicht entziehen, aber wenn das alles so schlimm wäre, müsste man ja auch Ausgangsverbote verhängen, Schulen schließen und am besten auch noch eine Mundschutzpflicht verhängen. Davon habe man im Kicker aber noch nichts gelesen.

So werden Sie den Ball allen Ernstes, weil lustig ist das ja nun wirklich nicht, vor leeren Rängen rollen lassen und mit ihren Testocoron-legalisierten Körpern über das Spielfeld dribbeln. Einige zeitgemäße Neuerungen sind dabei aber zu beachten:

  • Eine DFL-App gibt dem Videoassistenten ein Zeichen, wenn zwischen zwei Spielern der Mindestabstand von 1,50 Metern unterschritten wird, woraufhin der Fernberatungsberufene dem Referee per YouTube ein Faul signalisiert. Der Unparteiische kann dann zwischen „Platzvorteil mit Weiterspielen“ oder „Spielunterbrechung mit gelber Karte“ wählen. Die Gelbe Karte ist unproblematisch, da diese bereist bisher kontaktlos vorgehalten wurde, beim Weiterspielen werden die Kontrahenten durch Zuruf verwarnt und müssen ab der nächsten Spielunterbrechung einen Mundschutz tragen.
  • Umstellen mindestens drei Spieler einen Gegner so eng, dass dieser sich nur mit einem Faul befreien könnte, so gilt dies als „Sperren ohne Ball“. Das Spiel darf dann erst fortgesetzt werden, wenn sich alle Beteiligten einem sofort durchzuführenden Corona-Schnelltest unterzogen haben. Wer positiv ist geht mit roter Karte vom Feld.
  • Der Torjubel wird – wie vorab einstudiert – vor einer für jeden einzelnen Spieler individuell eingerichteten Kamera absolviert, je nach Talent auf den Knien rutschend, sich selbst umarmend, sägepantomimisch oder vielverheißend ins plastikgekapselte Gemächt greifend. Einzig der Torschütze selbst wird in einer Kurz-Schalte per Video mit drei Fans aus unterschiedlichen Stadtteilen verbunden, die ihm in je 3 Sekunden ein Lob zuschreien dürfen. Über die Stadionanlage wird zur Betonung des emotionalen Moments wahlweise einer der situationskonform angepassten Hits „My Chorona“, „Hey Quarantena“ oder „Verdammt ich krieg Dich, ich krieg Dich nicht“ eingespielt.

Durch diese mit Bedacht und Zehenspitzengefühl eingeführten Regelungen werden unsere Helden endlich wieder für die Zerstreuung sorgen könne, die jeder weggesperrte Fan heute vergeblich sucht, wenn er samsatgabends um 18 Uhr routiniert vom Sessel in Richtung Fernseher blickt. Statt werbetriefender sensationsgeheischter Sportschau zeigt man ihm heutzutage Non-Live-Games also sog. Tot-Spiele mit mehrheitlich bereits berenteten Star-Kickern zur Nachbetrachtung. Dazu sagt Herr F. aus Uss „außer 11-Meter gegen England brauch ich keine Wiederholungen“ und Herr B. aus All „die hatten damals schon einen Haarschnitt wie wir heute bei Corona“.

In Analogie zu Tübingens grünem Oberbürgermeister Boris Palmer wehrt sich der scheidende Vorstandsboss des FCB Rumenigge gegen Vorwürfe, die Liga habe die Bodenhaftung verloren: „Wir spielen möglicherweise für Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot sind“. Das ist echtes Engagement. „Diese Leute sind mittelfristig der wahre Fangeist“. Wer, wenn nicht der Fußball sei in der Lage so viel Geld zu mobilisieren, dass unsere Wirtschaft wieder in Schwung kommt. „Ich denke da nur an die Wirtschaft bei mir um die Ecke. Bei denen hab ich – einfach so als Zeichen meiner Verbundenheit – ein Tipico Wettbüro im Raucherzimmer eingerichtet“ sagt Rumenigges designierter Nachfolger Oliver Kahn. Respekt!

„Ich könnte mir jede Woche ein Spiel meiner SAP-Elitetreter gegen die Leipziger Brausebuben von Mateschitz leisten“ sagt Ditetmar Hopp, „aber wir denken ja an die Fans, die weniger wie wir auf dem Konto haben. Wer im Leben schon gegen uns verloren hat, der lernt bei jedem verlorenen Spiel seiner Heimatmannschaft gegen unsere Cash-Gauchos eben etwas fürs Leben!“. „Un es is ja vui lustgä, wannd’sd siegst wia die lucknfüllädn Schluckä gega unsere gen-geprüfdn Sprungstiere ani hupfm un statt wenigstns an Abstaubä zu hol’n bloß in Ballschani schkaniern“ bullert der rote Ballsportbesitzer.

So verstehen wir jetzt endlich: Geisterspiele für die Fans entwachsen dem wahrem Sportsgeist. Die Herren könnten ja auch zuhause sitzen bleiben und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Statt dessen mühen sich die professionellen Ballfüßler für uns auf den immergrünen Rasen und lassen so die jeweiligen Vereins- und Medien-Aktionäre und sich selbst statt Gott einen reichen statt guten Mann werden. Spielen ohne Fans im Stadion: das schmutzt nicht, ist hygienisch unbedenklich, schont nachhaltig Adrenalin und Ohren und spart Polizei und Ordner und ist damit der sowieso bessere weil reine Fußball. Die paar Bockwurststände und das bisserl Bier, das nicht ausgegeben wird kann jeder Heimservice mit Fußkuss übernehmen – mit Club-Logo auf der Pommestüte, damit man weiß wer am zustellenden Radlerando wirklich verdient.

Die Grenze zwischen Rängen und Feld ist nicht mehr Aschenbahn und Zaun sondern ehrlich und realitätskonform ein undurchdringbar gestrickter, überdimensionierter Fan-Schal aus Kapital, Ligapotentaten und kostenpflichtigem Cyberspace. Nur selten und kontrolliert, wie bei den Geissens, gewährt man dem sogenannten Fan nun noch Einblick in den sorgsam gestylten Leer-Arenen, deren Sponsor-Namen schon seit langem zeigen wer da drinnen was zu Sagen hat. Auf jedem Stuhl sitzt in Zukunft ein mietbarer Bildschirm-Avatar, der lachen, weinen, jubeln, singen und Werbebotschaften nachsprechen kann, garantiert pyrofrei weil ohne jedes Feuer im Chip. Nur noch enge Freunde der Spieler und Gewinner lustiger TV-SMS-Spiele dürfen sich noch im Realitas-Bereich des Stadions tummeln, abgeschirmt von der VIP-Area der höhnessenden Althinteren und sonstwie unlimitiert Bereicherten, die der Matthäus-Passion frönen und sich das Spiel von einem privaten Weißbiermoderator live vornetzern lassen.

Gedankenverloren philosophiert Dietmar Hopp: „Unsere Investitionen sind nur auf dem Rasen lukrativ, sie brauchen diese teuren Menschen und das ganze Troß-Gesox von Physio bis zum Rasenmann, könnte man da nicht mal etwas zukunftsfähigeres mit Software…“ – „Gibt es schon“ tröstet ihn sein Freund Bill. „FIFA, Pro Evolution Soccer und Football Manager hab ich daheim. Das funktioniert so gut wie Internet-Porno, bloß halt mit Hose. Übrigens da unten spielen Deine Jungs grade gegen 11 Hologramme von Dynamo, die haben wir als Ersatz für die CoViD-Erkrankten Dresden-Quarantilionäre eingespiegelt. Die Liga kann doch nur wegen kranken oder gar sterbenden Manschen nicht still stehen.“

Zu Konrad Kochs Zeiten 1874 am Martino-Katharineum, einem Lyzeum für Oberschicht-Knaben in Braunschweig, spielte man die Englische Universitäts-Sportart in der Oberprima auch ganz ohne Fans. Mit zunehmender gesellschaftlicher Akzeptanz wurde dann der Fußballsport jener Jahre vorwiegend in bürgerlichen Kreisen ausgeübt und galt als Modesportart des Bürgertums wie von Aufsteigern. Arbeiter verfügten weder über genügend Freizeit noch über finanzielle Mittel für die Ausrüstung. Arbeitersport wurde Fußball erst in der Weimarer Republik, als sich die Bevorfußballung keiner mehr gefallen ließ (Wikipedia).

Heute dürfen wir uns aufs Zuschauen aus der Distanz beschränken, persönlich zahlen, nebenwirkungsarm jubeln, im Interesse des Erhalts der ökonomischen Millionen- und infektiologischen Mindest-Meter-Entfernung aber keinesfalls selbst spielen. Der Fußball hat zu seinen Wurzeln zurückgefunden.

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