Jugend an die Macht

Die alten weißen Männer haben ausgedient! Ich geniere mich mittlerweile schon, wenn ich mich in einer öffentlichen Diskussion zu Wort melde. Da denke ich mir regelmäßig, „Du hast den Mund zu halten“, denn ich dachte genau das von den weißen Ü60 Männern, die zu meiner Jugendzeit kräftig mitmischten, die Republik beherrschten und kaputtregierten.

Diese Überbleibsel einer im Weltkrieg vertanen Jugend berichteten, bis in den Ural gekommen zu sein, und wenn der Winter nicht gewesen wäre… Die Autobahnen waren sowieso gar nicht so schlecht. Man habe damals die Arbeitslosen von der Straße geholt und mit der Heimholung von Österreich eh nur zusammengeführt, was zusammen gehört. Bei Olympia habe man in Berlin sogar einen Schwarzen gewinnen lassen. Zu der Zeit gab es in Amerika noch Sklaven oder so, also alles Bestens im Westens. Von den Juden und den vergasten Behinderten hätte eh kaum jemand etwas gewusst geschweige denn gemerkt und überhaupt: das wäre damals halt so gewesen, ethnisches Miss-Brauchtum halt. Im Mittelalter hat man Hexen verbrannt, das war Tradition. Hat da jemand was dagegen gesagt? „Ich will der erste sein, der Feuer an sie legt“, sagte Martin Luther über die Hexen und der ist ja ethisch über alle Zweifel erhaben. Sowas ist alles eben volk-loristischer Zeitgeist der urdeutschen Volks-Gemein-Schaft sozusagen.

Leider habe man sich dann irgendwann vertan. Vertan in Verdun sozusagen, denn Verdun war im ersten Weltkrieg und als erste Kriegswende letztlich schuld. Wenn die Schmach von Versailles nicht gewesen wäre, sondern da ein wenig humaner mit dem Volk der Dichter und Denker umgegangen worden wäre, dann hätte man sich kurz nach dem ersten verfehlten Endsieg zusammengetan und den Russen, der ja immer schon kommen wollte, beim zweiten Mal beendsiegt, statt uns in unnötigen Schlachten mit Franzosen, Engländern und Amerikanern zu verzetteln, die letztlich ja – schau her wie es heute ist – zu nix führen. Wir Westler sind ja eh zusammengekommen. Da hätte man sich den zweiten Weltkrieg eigentlich sparen und an der Ostfront gemeinsam Kommunisten, Stalinisten und Marxisten ethisch euthanasieren und ideologisch logisch meucheln können.

„Ich sag’s Dir, der kommt noch, der Russe“ haben die schwadronierenden Ü60er in der nach 50ern geweissagt. Es gab dazu sogar einen Witz, dass der Russe, wenn er kommt, nicht über Frankfurt hinaus kommen wird, weil er im Stau am Frankfurter Kreuz stecken bleibt. Mit dieser Russen-Angst wurde vom Leopard zum Starfighter, von der Pershing bis zur Wehrpflicht dank Wirtschaftswunder damals alles finanziert. Privathäuser hat man damals sogar staatlich gefördert mit einem Luftschutzbunker ausgestattet.

In meiner Jugendzeit war ich von diesen alten weißen Männern abgestoßen. Die sollten sich in ihr Häuschen setzen und uns den Laden überlassen. Wir wussten, wie es gehen muss: Liebe, Frieden, Atomkraft Nein Danke. Und jetzt bin ich selber einer. Alt, weiß, übergewichtig, all meinen alten Idealen nachhängend: Öko, Pazifismus, Links. Ich sollte mich nicht mehr einmischen, das ist nicht mehr meine Welt. Ich bin hier nur noch geduldet. Die Welt muss sich entwickeln können. In die Zukunft, die langfristig immer besser wird als die Gegenwart. Sitzen wir noch auf Bäumen herum? Müssen wir noch fürchten, dass das Feuer ausgeht? Hat jemand Angst vor dem Säbelzahntiger? Gibt es noch Fäkalien auf den Gassen? Gibt es noch Hunger oder Durst? Also bei uns zumindest nicht. Die Anderen in Afrika und so wo müssen halt noch ein bisserl nacharbeiten. Langfristig wird aber alles gut… sicher, weil wenn es schlecht würde, dann ist halt Schlecht das neue Gut. Zusammenfassend: Ich sollte jetzt endlich den Platz für die Jugend frei machen.

„Du hast den Mund zu halten“ denke ich mir also erneut. Die Jungen sollen sich ihre Zukunft selber machen. Die bekommen dann ja auch im Alter, was sie geschaffen haben. Wir hinterlassen ihnen schließlich ein bestelltes Haus… Echt?

Ja, hierzulande muss niemand mehr hungern. Das musste, als wir in den Siebzigern den Laden übernahmen auch keiner. Ökologisch wollten wir sein, erfanden SUVs als bollernden Yuppie- und Familienpanzer und machten Fliegen zum kerosinfreigesteuerten Alltagsvergnügen. Verbrenner an die Macht! Liebe sollte als unser ewiges Ziel offen gelebt werden, stattdessen überholen die anonymen Hasskommentare in dem von unserer Generation geschaffenen freien, jedermann zugänglichen Netz an Zahl und Grausamkeit jedes Vorstellungsvermögen. Der ehemals gehuldigte, unerschütterliche Pazifismus ist der Zeitenwende zum Opfer gefallen, wenn der der ehemals grüne, jetzt tarn-olivgrüne Waffenkenner-Toni über allerlei Kriegsgerät so informiert sprechen kann wie früher über die Bedeutung unterschiedlicher Sonnenblumensaaten. Was ist das für eine Bilanz meiner Generation? Früher hat man seine Ziele verfolgt bis ans dann auch wirklich bittere Ende. Heute verkaufen wir sie oder opfern sie dem allmächtigen Sachzwang. Man ist versucht, die gegenwärtige Entwicklung „Back to the roots“ zu nennen, auch wenn zu diesen Wurzeln eigentlich keiner mehr hinwollen sollte.

Umso mehr muss und soll die Jugend es jetzt besser machen! Die sind dran. Wir Alten sollten endlich die Schnauze halten. Danken darf man natürlich auch noch im Alter: „Die Geschichte ereignet sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce“ wird als Zitat Marx und Hegel zugeordnet. Die Nazis… Verzeihung die Ultra-Konservativen sind überall wieder da, aus irgendwelchen Löchern gekrochen wo sie wohl gewartet haben, bis es günstig ist. Diesmal nicht nur bei uns, sondern auch in Italien, Frankreich, England, Ungarn Russland, Israel, Palästina, Iran, Libanon… und was ist eigentlich Trump für einer? Zumindest der ist Farce, oder? Früher hab ich solche Leute angeschossen genannt, heute stimmt es mehr als ich gewünscht hätte aber man kann es nicht mehr formulieren. Dann sehe ich, dass ausgerechnet bei der Jugend die AFD großen Zuwachs hat. Im Deutschen Osten ist die AFD bei der Jugend sogar vorne. Und: Neue Autobahnen haben die auch schon.

Nee, nee, Jugend, ich werde nicht die Schnauze halten. Ich werde von Liebe, Ökologie und Pazifismus erzählen wie unsere Altvorderen vom Krieg. Jedes Märchen das auf sich hält beginnt mit „Es war einmal“. Ich lebe mein Märchen weiter, auch wenn die Realität glaubt realer zu sein. Und dann hoffe ich, dass Marx oder Hegel oder wer auch immer das oben wirklich geschrieben hat, dass derjenige Recht behält, denn dann wird die jetzige Farce irgendwann weichen und unsere Ideale kommen wieder… fragt sich nur ob die dann auch eine Farce auf dem Weg zu noch schlimmerem sein werden.

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